Dienstag, den 11. Mai 2021
Ich wollte die 14 Uhr Bahn in Garmisch erreichen um heute noch Zuhause anzukommen und fuhr um sechs Uhr los. An der Grenze gab es keine Probleme, im Gegenteil. Der freundliche Grenzsoldat fragte mich nach meinem Ziel und ich antworte „Garmisch“. „Aber nicht über den Zirler Berg oder ?!“ fragte er. „Ich denke doch, wieso ?“ – „Sie wissens schon, daß der sehr steil ist – extrem steil“ – „Nö, wie steil denn ?“ – „Bis 20% und das über zwei Kilometer. Also wenns nicht der Armstrong sind … Fahrens über Telfs, kennens des? Die Strecke ist zwar länger aber viel besser zu fahren. Den Zirler Berg fährt niemand mit’m Radl nauf.“
Jetzt setzte sich bei mir etwas durch, was ich längst abgelegt zu haben glaubte. „Vielen Dank für den Tip und Auf Wiedersehen“.
Von wegen, wenn es Heldenhaftes zu tun gibt, wenn Geschichte geschrieben werden kann, wird nicht gekniffen. Wer war Armstrong ? Ihn würde ich unter fairen Bedingen mit einem Dreirad abschütteln. Ich prüfte die Route. Da, der Zirler Berg – Tatsächlich 300 Höhenmeter auf 2 Kilometer. Für mich grade genug zum Warmwerden. Auf geht’s ! Ich spurtete ins Tal hinab, das Messer zwischen den Zähnen, bereit den Mythos zu bezwingen. Als ich aus meinen Träumereien von Ruhm und Ehre das erste mal wieder erwachte, war ich bereits in Innsbruck.
Um die große Tat anzukündigen, tat sich der Himmel auf und der Sonne güldner Strahl wies dem Helden den Weg – der Zirler Berg lag allerdings in der anderen Richtung
Aber es ließ mich nicht mehr los. Nur noch 18 km, dann wird er vor mir stehen. Ich stürmte ihm mit meinem Schwerlastesel entgegen. Keine illegalen Substanzen, kurz vorher noch ein Schinkenbrötchen, das würde mir genügen. Dann stellte ich mich dem Ungeheuer. LKW’s ächzten den Berg hinauf. Ich ließ sie gnädig passieren und atmete ihre Abgase. Den langsam aus der Höhe wieder Hinabfahrenden glühten die Bremsscheiben. Der Blick ihrer Lenker war starr vor Angst. Schon nach wenigen Metern der ersten Rampe musste ich meine Brille abnehmen, weil ich die Schweissströme nicht mehr zu bändigen vermochte. Vorbeifahrende Autofahrer winkten und lachten mich an (oder aus). Nur noch 1,8 Kilometer bei durchschnittlich 15 Prozent Steigung. Bei meiner rasenden Geschwindigkeit würden die Qualen nach 20 Minuten ein Ende haben. Ich würde nicht aufgeben – Niemals ! Vielleicht reißt die Kette unter der enormen Belastung, aber ich würde standhalten. Noch 800 Meter mit 5 bis 6 km/h, zwei Handwerker überholten mich in ihrem Transporter und jubelten mir zu. In der Höhe würden bereits schon alle Radsportbegeisterten des Landes, von ihnen informiert, auf mich warten um mich zu feiern. Zeit genug für die Anreise würden Sie ja haben, denn es verging gefühlt noch eine Ewigkeit bis zum großen Finale. Die Steigung ließ nach, der Berg konnte nicht mehr. Respektlos steigerte ich meine Geschwindigkeit auf über 10 Stundenkilometer um ihm den Garaus zu machen. Nur noch 10 Prozent Steigung – lächerlich. „Mehr hast Du mir nicht zu bieten ?“. Ich lachte lauthals. Mein Triumph war unfassbar. Ein unbeschreibliches Gefühl, als hätte ich als erster Mensch barfuß den Mount Everest bestiegen. Zu meiner Verwunderung aber wartete Niemand. Niemand tanzte vor Begeisterung, Keiner jubelte mit zu. Ja – Sie gönnten es mir, und ließen mich in diesem herrlichen Augenblick mit mir allein. Ich steuerte ruhig den an der Straße liegenden Supermarkt an, fragte ob ich die Toilette benutzen könne, kaufte mir Laugenstange und Gipfelbier und konnte mich, meinen zahlreichen zurückhaltenden Bewunderern dankbar, auf meine eigene bescheidene Art und Weise, meiner großen Tat erfreuen.
der Zirler Berg war bezwungen
Der Rest ist kurz beschrieben. Ich rollte den Berg hinab nach Scharnitz. Die Österreicher waren froh, mich wieder los zu sein. Eine Grenzkontrolle von deutscher Seite gab es nicht. Die restlichen 30 Kilometer über Mittenwald nach Garmisch-Partenkirchen waren ein schöner Klacks und ich war schon vor zwölf am Bahnhof – was für ein großartiges Finale !
Herzlichen Dank dafür an den unbekannten, freundlichen Grenzsoldaten !