August 8, 2022

von Harcigny bis Radonvilliers

Montag, den 8. August 2022

Es sind einige Wochen vergangen. Es fällt mir schwer die Erinnerungen an die folgenden beiden Tage zurückzuholen und die Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen. Mein Bildmaterial ist dürftig, zudem ist bei der Sicherung das Originaldatum verloren gegangen und die Reihenfolge durcheinander geraten.

Der Start war gelungen und bis zum ersten Checkpoint waren es nur noch 50 Kilometer, die ich, bei immer noch leichten Streckenverhältnissen, bis zum späten Vormittag hinter mir haben wollte. Aber es kam anders: Die Befestigung der Gabeltaschen hielten der Belastung schon nach einem Tag nicht mehr Stand. Die Straps wollten alle 15 Minuten nachgezogen werden und die gesamte Konstruktion arbeitete sich immer mehr in Richtung Speichen. Da ich schon bei ersten Schiebepassagen ganz schön zu ackern hatte, musste ich schnell einsehen: ich war überladen. Wenn ich die Tour überstehen wollte, musste „Ballast von Bord“. Mit 27 Kilo und zwei schlabberigen Forkpacks würde ich nicht ankommen, deshalb fuhr ich in Laon noch vor dem Checkpoint zur Post, entledigte mich allen überflüssigen Krams (Kocher, Gas, Kaffee etc.) und demontierte die Taschen, wobei ich das Kabel vom Nabendynamo abgerissen hatte. Also musste ich noch zum nächsten Händler für Autoteile und einen Kabelschuh besorgen. Bis ich alles wieder fit hatte war es kurz vor vier und mein Polster deutlich geschrumpft, aber ich fuhr nun knapp fünf Kilo leichter weiter.

An diesem Tag war der Wurm drin. Ich kam der Champagne näher und die Steigungen nahmen zu. Ich war immer noch guter Dinge, selbst als mir eine Brombeerstrauchdorne den ersten Platten bescherte. Eindeutig – die Stelle war schnell entdeckt und ich probierte meine neuen selbstklebenden Patches aus, anstatt den Ersatzschlauch zu nehmen – ein Fehler.

Aber erstmal ging es weiter und es war Vieles wie im letzten Jahr, als sich auch damals das Wetter besserte und die Sonne die Fahrt entlang riesiger Getreide- und Sonnenblumenfelder zu etwas Besonderem machte. Ich fühle mich wohl auf dem Land. So geht’s mir überall und der Wechsel zwischen kulturviertem Land, ursprünglichen Waldabschnitten und beschaulichen Ortsdurchfahrten ist es, was ich an diesen Touren so sehr mag. Freundliche und interessierte Menschen krönen das Ganze.

Die Weinberge der Champagne waren erreicht und ich suchte mir ein „nettes“ Plätzchen für mein Abendessen, dass ich mir zuvor in Fismes, im einzigen noch offenen Lokal, einer orientalischen Imbissbude, besorgt hatte – ein Dönerteller mit Pommes und eine halbe Pizza. Das sollte reichen. Die andere Hälfte hob ich mir fürs Frühstück auf und weiter gings.

Ich fuhr wieder in die Dunkelheit und wusste nicht recht, ob ich ruhen oder durchfahren sollte. Ich bekam Gesellschaft von Nicolas, einem französischen Teilnehmer, und wir fuhren gemeinsam durch die Nacht. Wir unterhielten uns angeregt und mir kam es sehr recht, aber nach einer guten Stunde gegen Mitternacht musste ich leider die angenehme Begleitung ziehen lassen: der nächste Plattfuss.

So kann es kommen. Erst überschätzt man sich und dann kommt auch noch Pech dazu. Die Luft hatte sich unter dem, wirklich mit Ruhe und ordnungsgemäß angebrachten Flicken seinen Weg nach Aussen gesucht und so holte ich mit aller Ruhe, zu nächtlicher Stunde im Schein einer Straßenlaterne meinen Ersatzschlauch heraus und tat das, was ich gleich hätte tun sollen.

Es war weit nach Mitternacht und es würde in drei bis vier Stunden dämmern. Ich fuhr also weiter und der Weg führte durch einen Naturpark südlich von Reims. Die Trails waren einfach, so dass es mir auch mit meiner Funzel möglich war, diese größtenteils fahrend zurückzulegen. Was meine mangelhafte Beleuchtung angeht, redete ich mich damit heraus, dass ich nicht vorhatte die Nächte durchzufahren, aber auch hier gibt’s Nachbesserungsbedarf.

Auch die zweite Nachtfahrt stand ich gut durch, verzehrte in einem kleinen Örtchen mein letztes Stück Pizza und als ich um kurz nach sechs an der ersten Bäckerei vorbeikam, hatte diese schon geöffnet. Wenn es drinnen noch Sitzmöglichkeiten gegeben hätte, wäre mein Glück perfekt gewesen, denn es war sehr frisch an diesem Morgen und ich hätte mich gerne etwas aufgewärmt. So war’s aber auch in Ordnung: ein Baguette, diverese Kuchen, darunter selbstverständlich ein Flan und zwei Kaffee – ein angemessener Start in den Tag.

Südlich von Reims fuhr ich über Wirtschaftswege, gefühlt endlos an abgeernteten Weizenfeldern entlang. Die Sonne brannte wie gewohnt und wie gewohnt passte sich auch mein Tempo der Hitze an. Wenn dann am frühen Abend die Sonne langsam ihre Kraft verliert, das grelle Licht ins angenehm Warme wechselt und Alles in schönsten Farben leuchten lässt, beginnt die schönste Zeit des Tages. Ich mag diesen Rhythmus, der sich bei mir an heissen Tagen automatisch einstellt und im weiteren Verlauf konnte ich darauf bauen.

Aber zunächst ging es noch durch die Hitze. Gegen Nachmittag erreichte Vitry le Francois, setzte mich auf ein Bierchen in eine Bar, was mir selbstverständlich nicht gut bekam. Es setzte schlagartig tiefe Müdigkeit ein und nachdem mir die Augen einige Male zuvielen, trank ich schnell meine Cola aus, bezahlte und fuhr weiter. Auf dem Weg aus der Stadt kaufte ich mir noch schnell einen neuen Schlauch.

Es wäre zwar knapp geworden, aber ich hätte die nächtliche Fahrverbotszone (von 21 Uhr bis 6 Uhr) im Foret d’Orient womöglich noch durchfahren können. Da ich aber keine zweite Disqualifikation riskieren wollte und außerdem Hunger hatte, suchte ich lieber einen Dönerimbiss auf und setzte mir den Campingplatz in Radonvilliers als Tagesziel.

Eine goldrichtige Entscheidung, denn es folgte eine Fahrt durch die bereits erwähnte, wundervolle Abendstimmung. Es war entspannt und nachdem ich mich in Brienne Le Château noch im Lidl versorgte, erreichte ich den Campingplatz.

So hatte ich mir den idealen Tag vorgestellt. Es muss um acht Uhr herum gewesen sein, als ich die zum Platz gehörende kleine Gastronomie besuchte und mir der freundliche Wirt mir stolz Grimbergen vom Fass anbot. Diese belgische „Bockbiere“ gehen zwar kühl und nach einer Fahrradtour auch gut runter, aber ebenso auch Aufmerksamkeit und Sprachbegabung. Naja – zwei Kleine vor dem Essen verkraftete ich noch so grade. Ich duschte, wusch meine Wäsche und stopfte Sie in den Trockner, den mir der herzige Wirt auch noch kostenlos freischaltete. Zufrieden verzog ich mich auf mein Nachtlager. Beim Toilettengang in der Nacht stellte ich fest, dass der Trockner eine Störung anzeigte. Er war auch nicht mehr dazu zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Also schnell die Sachen aufgehängt und zurück in den Schlafsack. Am Morgen würde es dann, in noch feuchten, aber sauberen Klamotten losgehen – was soll’s.