Juni 16, 2021

2021 – Taunus Bikepacking: Tag 2

Mittwoch, den 16. Juni 2021

Der neue Tag beginnt um halb vier. Ich liege auf dem hölzernen Boden vor der Hütte und fühle mich wie gelähmt. Meine Luftmatratze ist platt wie eine Briefmarke und ich kann mich nur langsam wieder in Bewegung bringen. Geschlafen habe ich aber tief und fest, jedenfalls vier Stunden lang.

Ich koche mir Kaffee während Adrian, Daniel und Stefan noch gemütlich auf ihren Luftmatratzen liegen. Meine wird am nächsten Tag in den Mülleimer wandern. Die am Vorabend zum trocknen aufgehängten Sachen waren in der Nacht noch feuchter geworden, aber da es sowieso gleich den Berg hinauf ging, nahm ich es nicht so schwer. Mir sollte schon warm werden.

Um fünf breche ich auf und beim ersten Anstieg läuft es noch gut. Jetzt machte ich einen entscheidenden Fehler. Ich gab mich der Erwartung hin, an diesem Tag vorzeitig mein Pensum zu bewältigen und am Abend Zeit im Überfluss zu haben. Zeit um gemütlich zu kochen und mein Tagebuch zu ergänzen, schließlich hatte der Radeltag im Vergleich zu gestern drei Stunden zusätzlich. Als ich sechs Stunden später auf meine Kilometerleistung schaue, sehe ich zu meinem Entsetzen nicht einmal schlappe 60 Kilometer.

Ich hatte die Rechnung ohne die folgenden starken Anstiege auf losem, grobem Schotter gemacht, die mir mit meinem überladenem „Bikeschlepping-Rad“ das Hinauffahren unmöglich machten. Mir wurde klar: ich hatte diese Veranstaltung völlig falsch eingeschätzt und keulte meine schwere Karre die Berge hinauf. An diesem Vormittag musste ich zweimal absteigen und über mehrere hundert Meter schieben.

Die Entäuschung war da und musste in den Griff bekommen werden um die aufkommenden Gedanken an den „Sinn“ dieser Unternehmung zu unterdrücken. Als ich Bernd, der wohl zum Team gehörte und Photos von der Tour machte am Wegesrand traf, kam der Wendepunkt. Ich erzählte ihm von meinem Ärger und er zeigte sich verständnisvoll: „Du kannst hier schön runter an die Lahn fahren und von dort aus die Bahn nehmen.“ Es war ein ernst und nett gemeinter Vorschlag, der mich genau zum Gegenteil motivierte. Ich würde durchhalten. Meine junge „Bikepacking-Karriere“ hing aber an einem seidenen Faden.

Bernd begleitete mich noch ein kurzes Stück und leider habe ich kein Foto gemacht, aber an dieser Stelle danke ich ihm nochmal von Herzen.

Da ich diesen Bericht erst nach meiner Rückkehr schreibe, sei hier abschließend gesagt: der Ärger über meine schlechte Vorbereitung und das selbstauferlegte Handicap war groß, aber es war nichts mehr zu ändern. Was jetzt folgte war anders als ich es mir vorgestellt hatte – Keine Vagabundenromantik, stattdessen eine Herausforderung an mich und doch auch eine Art Wettkampf. Das war rückblickend betrachtet für mich mindestens ebenso gut. Ich buchte meine Fehlplanungen auf mein Erfahrungskonto und wusste was ich nach meiner Rückkehr tuen würde. Ich musste jetzt auf meine Mußestunden verzichten und die Kilometer abbarbeiten, was mir den Blick auf und die Freude an der wunderbaren Strecke nicht nahm.

An diesem Tag sammelte ich also jeden Kilometer mühevoll und bin nur selten für ein Foto oder Video stehengeblieben. Meine Laune stieg trotzdem stetig wieder an, denn der Track verlief weiterhin abwechslungsreich durch den schönen Taunus.

Der Abschluss des Tages war versöhnlich. In den frühen Abendstunden, als die Sonne gnädiger wurde, war das Radfahren wieder ein Genuss und zur Belohnung durfte ich noch im Dorfbrunnen eines kleinen Örtchens eine Art Bad nehmen.

Ein Bad im Dorfbrunnen ist eine Option. Meine bisherigen Vorstellungen von Anstand passe ich im Hinblick auf die begrenzten Möglichkeiten schnell an.

Gegen 22 Uhr sah ich etwas abseits der Route eine Hütte am Waldesrand. Ich war schon etwas enttäuscht als ich näher kam und dachte Sie sei von Wanderern besetzt, aber zum Glück war es ein Teilnehmer, der kurz vor mir angekommen war.

Die Schutzhütte teilte ich mir an diesem Tag mit Daniel. Etwas später kam auch noch Adrian hinzu, der von seinem Schlafplatz vertrieben wurde und eine weitere Teilnehmerin, die sich mit ihrer Hängematte in den angrenzenden Wald verzog.

Das einzige Tief dieser Tour war überwunden. Ich hatte mich damit abgefunden, daß ich auf dieser Tour etwas weniger „Freizeit“ haben und dafür mehr „Arbeiten“ würde. Selbst die defekte Luftmatratze störte mich nicht mehr. Ich freute mich auf den kommenden Tag und schlief selig auf dem bequem betonierten Boden unserer Hütte ein.